Gespräch von Peter M Loewe mit Frau Maria C. Schmid, 20. Sep. 2006

PML: Frau Schmid, Sie werden im Konzert von Cantus Basel am 29. Oktober in der Martinskirche den Solopart in Werken von Mendelssohn und Cherubini singen. Wie sind Sie zum Gesang gekommen?

M.C.Schmid: Als viertes von fünf Kindern durfte ich in einer sehr musikalischen Familie aufwachsen. Alle spielten wir ein Instrument, sodass ich bereits als Kind empfand, wie die Musik in meinem Leben einen besonderen Stellenwert einnahm, natürlich ohne zu wissen, dass ich dies eines Tages berufsmässig ausüben würde. Ich spürte, dass es mir beim Singen, beim Blockflötenspiel und später beim Violinspiel wohl war, es Momente gab, in denen ich im Bann der Töne alles um mich herum vergass, mich glücklich und „harmonisch“ fühlte. Bevor ich mich aber dem Gesang endgültig verschrieb, hatte ich ein Schlüsselerlebnis: In einem Adventskonzert – ich spielte Geige im Jugendorchester – sang ein Mädchen zu einem Stück einen Solopart. Sie sang sehr schön und ich dachte, dass ich das eigentlich auch könnte und viel lieber machen würde als hier Geige zu spielen. Es vergingen jedoch weitere sieben Jahre, bis ich mit dem Gesangsstudium begann.

PML: Und bei wem nahmen Sie dann Unterricht, wer bildete Ihre Stimme aus?

M.C.Schmid: Zuerst studierte ich an der Musikhochschule in Luzern. Zum Lehrdiplom führte mich Barbara Locher, zum Konzert- und Solistendiplom Peter Brechbühler. Daneben nahm ich Kurse bei Kurt Widmer, Sigfried Palm, Bodil Gümoes (Kopenhagen), Udo Reinemann (Utrecht) und ganz speziell bei Margreet Honig (Amsterdam). Heute werde ich nach Bedarf betreut von Lena Hauser.

PML: Das zeigt eine gründliche Ausbildung. Erinnern Sie sich noch, wem Sie das erste Mal vorgesungen haben?

M.C.Schmid: O ja, gewiss. Jede Sängerin wird sich an diesen Moment erinnern. Bei mir geschah das in einem Musikkurs in Salzburg bei Gertrud Bina. Ich erschien bei ihr ohne Noten und sollte darum das Kinderlied „Ein Männlein steht im Walde“ vorsingen. Nachdem sie mit mir ein paar Gesangübungen gemacht hatte, wurde sie still und meinte: „Kommen sie zu mir nach München. Ich möchte sie ausbilden.“ Etwas verwirrt und gleichzeitig überglücklich verliess ich den Raum. Nach drei ausserordentlich intensiven Gesangsstunden bei Frau Bina sass bei mir der Stachel, und ich spürte, dass trotz aller Unzulänglichkeiten, trotz meiner gigantischen Nervosität, welche meine Stimme am Schlusskonzert des Kurses zum Flattern brachte, etwas beim anwesenden Publikum ankam.

PML: Und dann begann Ihre Karriere?

M.C.Schmid: O nein. Den Aufbruch ins Ungewisse wagte ich nun doch nicht und machte zuerst eine Ausbildung als Primarlehrerin. Danach suchte ich dann einen Studienplatz in der Schweiz und fand ihn in Luzern.

PML: Kann man Sie heute auch in der Oper hören?

M.C.Schmid: Man empfahl mir nach dem Lehrdiplom, und trotz der damaligen Schwangerschaft, beim Opernstudio in Zürich vorzusingen. Auch mein Partner unterstützte mich in diesem Gedanken. Aber ich entschied mich dagegen, wohl weil ich ahnte, dass dies für mich nicht der geeignete Weg wäre. Heute nun geniesse ich die Herausforderungen des Konzertlebens.  Mein Repertoire ist inzwischen sehr gross, und ich erlebe es als ungeheuer spannend, immer wieder in neue Werke einzutauchen, mich auf neue Klangwelten einzulassen.

PML: Pflegen Sie dieses Repertoire nur in der Schweiz?

M.C.Schmid: Auf zwei Tournéen durch die USA, u.a. mit Bach’s h-moll-Messe, machte ich erste Erfahrungen wie es ist, wenn man von der kleinen Schweiz „neues Territorium besingt“. Danach folgten in den letzten Jahren Auftritte in Deutschland, Frankreich und Oesterreich. Diesen Frühling z.B. bekam ich die Gelegenheit mit dem hervorragenden Barockorchester Elbipolis aus Hamburg eine Mozart-CD in der berühmten Jesus-Christus-Kirche in Berlin einzusingen. Ende Oktober wird sie im Handel erhältlich sein.

PML: Welcher Musikstil entspricht ihrem Charakter?

M.C.Schmid: Ich lasse mich gerne überraschen von Werken, die ich noch nicht kenne. Stimmlich sehr gut aufgehoben bin ich im Oratorienbereich von Monteverdi über Bach, Händel, Haydn, Mozart zu Mendelssohn. Und im Liedbereich liebe ich besonders die Musik der deutschen und französischen Romantik. Ob das alles allerdings mit meinem Charakter etwas zu tun hat, wage ich zu bezweifeln.

PML: Wie gestaltet sich Ihr Kontakt zum Publikum?

M.C.Schmid: Singen ist Kommunikation! Selbstverständlich ist ein Teil meiner Persönlichkeit, ja der Persönlichkeit eines jeden Sängers, extrovertiert, doch dabei kann es nicht bleiben. Konzerte werden von diversesten Stressfaktoren begleitet, die jeder nur allzu gerne ausblenden würde. Mein Antrieb ist nicht das Publikum, sondern vielmehr die Herausforderung, mein Talent zu nutzen, es zur Verfügung zu stellen, damit Musik in der Form erklingen kann, wie sie gedacht wurde. Wenn es mir mit meiner Stimme gelingt, in Achtung vor dem Werk und seinem Schöpfer, zusammen mit meinen Begleitern Stimmung in einen Saal zu zaubern, so dass ich spüre wie ich einzelne Menschen berühren konnte, dann kann auch der Nachklang eines solchen Abends Lebensqualität bedeuten, für den Zuhörer, wie für den Interpreten.

PML: Welchen Stellenwert hat die zeitgenössische Musik in Ihrem Repertoire?

M.C.Schmid: Es ist wichtig, dass den zeitgenössischen Kompositionen, die eine andere Art Spiegel unserer Zeit sind, immer wieder eine Plattform gegeben wird. Ich selbst lasse mich jedoch nur selten darauf ein, weil ich genau abschätzen muss, was meiner Stimme schaden würde, welcher Arbeitsaufwand damit verbunden ist und ob ich einen emotionalen Zugang zum Werk erhalte. Hinzu kommt, dass es inzwischen diverse tolle Sängerinnen gibt, die sich mit Lust und Können auf experimentelle Musik einlassen.

PML: Sie arbeiten mit vielen Dirigenten zusammen. An wen erinnern Sie sich besonders gerne?

M.C.Schmid: Die grosse Vielfalt der Persönlichkeiten fasziniert mich. Diejenigen, mit den ich besonders gerne zusammen arbeite, sind Menschen, die sich mit den Werken (auch mit den Arien der Solisten) intensiv auseinandergesetzt haben, die eine klare Vorstellung paaren mit der Offenheit gegenüber den Mitinterpreten und die ihr Handwerk so beherrschen, dass ich mich getragen fühlen kann. Inspiration, Achtung und Hingabe müssen vor Sebstdarstellung und Macht stehen. Walter Riethmann zählt für mich zu diesen Persönlichkeiten.

PML: Welche Angebote liegen nach dem Cantus-Konzert für die nächsten drei Monate auf ihrem Tisch?

M.C.Schmid: Neben Bach’s h-moll Messe in Thun und Bern, der Johannes-Passion (im November), dem Mozart Requiem, beide in Zürich, freue ich mich auf zwei Werke, die ich neu kennenlerne: die Mozart-Fassung von Händels Messias in Lausanne und das Oratorium „Joshua“ von Händel in Baden.

PML: Zum Schluss: Was wünschen Sie sich als Künstlerin?

M.C.Schmid: Als Künstlerin wünsche ich mir, dass ich meiner Stimme und ihren Ausdruckmöglichkeiten immer mehr auf die Spur komme und sich mir all die Welten öffnen, in welchen meine Fähigkeiten in optimaler Weise eingebettet sein können. Beethovens Satz „von Herzen möge es zu Herzen gehen“ soll eine begleitende Maxime sein.

PML: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch, verehrte Frau Schmid.