Ludwig van Beethoven

1770 - 1827

Mühsamer Alltag - hehre Kunst - die Jahre um die Missa Solemnis

Bis 1812 war Beethoven in der Wiener Adelsgesellschaft regelmässiger Gast. Doch innert weniger Jahre starben drei seiner Gönner, darunter auch Fürst Lobkowitz. Es blieb noch die Freundschaft mit Erzherzog Rudolf, dem kaiserlichen Bruder und späteren Widmungsträger der Missa Solemnis.
Der gesellschaftliche Kontakt zu den Damen des Adels brach zwar nicht durchwegs ab, verlor aber an Selbstverständlichkeit. Die Tendenz zur Vereinsamung verstärkte sich deutlich nach den äusseren Erfolgen, die dem Komponisten bis zum Wiener Kongress öffentliches Ansehen gebracht hatten.
Hier seine Tagebucheintragung: "Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal, nur diese kann dir die Opfer --- zu deinem Dienstgeschäft geben - o harter Kampf! Du darfst nicht Mensch seyn, für dich nicht, nur für andre; für dich gibts kein Glück mehr als in dir selber in deiner Kunst - o Gott! gib mir die Kraft, mich zu besiegen, mich darf ja nichts an das Leben fesseln."
Nach 1819 verständigte sich Beethoven mit der Aussenwelt nur noch über seine Konversationshefte, denn er war ganz taub geworden.

Der Neffe Karl, für den der Komponist nach dem Tod seines Bruders 1815 sorgen wollte, und um dessen Vormundschaft er mit eiserner Hartnäckigkeit kämpfte, liess sich, wie mehrere Episoden zeigen, nicht ohne weiteres von seinem Onkel "dressieren". So brach er eines Tages aus seinem Erziehungsinstitut aus und floh zur Mutter, wo ihn die Polizei abholte und zurückbrachte.

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Neffe KarlBeethoven beschloss nun, Karl ganz zu sich zu nehmen. Der Haushalt, vorher oft chaotisch, sollte jetzt perfektioniert werden. Verzweifelt hatte Beethoven schon früher immer wieder versucht, Ordnung zu schaffen inmitten seiner ständigen Haushaltauflösungen. (Streitigkeiten mit Verlegern oder mit Kopisten wegen falsch abgeschriebener Noten aus seinen chaotisch geschriebenen Vorlagen gehören in das selbe Kapitel.)
Nun also stellte Beethoven zwei Bedienstete, einen Haus- und Klavierlehrer an, denn Karl sollte ein Künstler oder ein Gelehrter werden. "Nur der Künstler und der freie Gelehrte tragen ihr Glück im Innern", äusserte Onkel Ludwig, welcher sich nun Vater nannte. Nur eben: Unstimmigkeiten in seinem Hause waren die Regel. Das "Personal" hatte es schwer mit den Launen des "Meisters", der wegen Kleinigkeiten aufbrauste oder gar ein Küchenmädchen davonjagte.

Während dieser äusserlich schwierigen und künstlerisch wenig produktiven Zeit begann die Beschäftigung mit der Missa Solemnis, als seinem "eigenen Gottesdienst". Zunächst studierte Beethoven die alten Kirchentonarten und setzte sich mit Komponisten wie Palestrina auseinander.
1820 gewann er den langwierigen, kräfteraubenden Prozess um die Vormundschaft Karls gegen dessen Mutter. Er musste jedoch seine erzieherische Unfähigkeit zugeben, ja er akzeptierte allmählich, dass sein "opus magnum" gescheitert war und ihn dazu viel Geld gekostet hatte. Wie wollte ein Mensch, der als Kind keine Liebe erfahren hatte, der sich sein ganzes Leben vergeblich nach Liebe gesehnt hatte, jetzt als beinahe fünfzigjähriger Mann einem Kind väterliche Liebe und Geborgenheit schenken können?

Beethoven musste resignieren. Nach überstandener Gelbsucht 1821 reagierte er mit neuem Schaffensdrang. Noch bevor die Missa Solemnis beendet war, schrieb er seine 9. Symphonie, das Ideenkunstwerk mit der berühmten "Ode an die Freude" von Schiller. Drei Jahre vor Beethovens Tod wurde sie in seiner letzten grossen Akademie als Krönung nach einer Ouvertüre und den drei grossen Hymnen aus der Missa Solemnis uraufgeführt.

Christine Bühler

Weitere biographische Angaben sind in den Begleittexten zu "Christus am Oelberge" zu finden.